VIELE KLASSISCHE WURZELN LIEGEN IN DER VOLKSMUSIK

Interview mit Bariton Rafael Fingerlos

Redaktion: Sie kommen aus Mariapfarr im kalten Lungau und sind in einer musikalischen Familie aufgewachsen.
Fingerlos: In meiner Familie wird seit jeher viel musiziert, von Volksmusik über Jazz bis hin zu Rock. Ich bin ein bisschen das schwarze Schaf, weil ich bei der Klassik gelandet bin. Wir haben ein Ensemble, die Familienmusik Fingerlos, bei dem ich die diatonische Ziehharmonika spiele. Auch wenn wir aus Zeitgründen nur noch selten zum gemeinsamen Musizieren kommen, liebe ich dieses Instrument. Und der Lungau ist zwar kalt aber Mariapfarr gleichzeitig auch der sonnenreichste Ort in Österreich – was die wenigsten wissen.

Sie sind von der Volksmusik zum Operngesang gekommen?
Ja, und rückblickend bin ich sehr froh über diesen Werdegang. Ich hatte einen sehr freien und natürlichen Zugang zur Musik. Wir haben alles auswendig gespielt und im Mittelpunkt stand immer das blinde Verständnis im Zusammenspiel und ein sensibles aufeinander Hören. Das sind bis heute absolute Maximen meines Handwerks. Heute ist es zudem meine Mission geworden aufzuzeigen, dass echte (!) Volksmusik und Klassik unglaublich voneinander profitieren und im Grunde das Gleiche wollen, nämlich die Menschen berühren.
Aktuell arbeite ich dazu gemeinsam mit dem Dirigenten Franz Welser-Möst an einem Projekt, bei dem es um Schubert und die Volksmusik geht. Es heißt FRANZ. Schubert ist ein Beispiel dafür, dass die Wurzeln in der Volksmusik liegen. Auch Gustav Mahler, den ich in Bad Reichenhall singen werde, hat sich solcher Klänge und Melodien bedient.

Das Publikum erwartet ein sehr kompakter Liedzyklus mit einer unglaublich berührenden Geschichte.

Volksmusik und klassische Musik, das ist für viele Menschen eher ein großer Gegensatz.
Wir sollten mit diesen Vorurteilen aufräumen. Franz Schubert war es wichtig, das Verbindende, das Berührende an der Kunst zu finden, zu fördern und die Musik dorthin zu bringen, wo sie hingehört: zu den Menschen, ohne Berührungsängste, direkt von Herz zu Herz. Das gelingt kaum einem Genre so unmittelbar wie der echten Volksmusik. Hiervon kann die Klassik viel lernen. In Österreich gibt es mittlerweile hoch entwickelte Volksmusik, auch auf universitärem Niveau. Ich bin dagegen, dass man die Klassik so auf den Schemel stellt und von „Hochkultur“ spricht. Beides hat seine Berechtigung und das eine kommt ohne das andere nicht aus, gerade wenn man von der österreichischen Klassik spricht.

Sie waren fünf Jahre Ensemblemitglied an der Wiener Staatsoper, die sie 2020 verlassen haben. Welche Vorteile hat es, ungebunden zu sein?
Wenn internationale Opern- und Konzerthäuser anfragen, dann sollte man – schon aus Respekt – zeitliche Ressourcen dafür haben. Im Opernbetrieb muss man pro Neuproduktion zwei bis drei Monate einplanen, da bleibt sehr wenig Zeit für anderes und daher ist eine gute Planung das Um und Auf. Nach knapp 90 Vorstellungen an der Wiener Staatsoper und vielen Hauptrollen war es für mich auch einfach Zeit für den nächsten künstlerischen und internationalen Schritt im Freiberuf – und den habe ich nicht bereut, keine Sekunde. Es reizt mich einfach, meinen Weg individuell und nach den eigenen Stärken zu gestalten. Aber wenn ich ein Haus „mein Haus“ nennen müsste, dann wäre es immer die Wiener Staatsoper. Es ist ein grandioses Opernhaus.

Sie haben jetzt mehr Zeit für den klassischen Liedgesang.
Ja und das war ein wichtiger Punkt. Bei der Oper liegt der Fokus stark auf der Szene. Im orchestersolistischen Bereich kann man musikalisch viel mehr in die Tiefe gehen – genauso wie im Liedgesang. Und der ist mir einfach eine absolute Herzensangelegenheit.

 

In einem Interview haben Sie Mozart als ihre Konstante bezeichnet und nun eine CD mit Liedern und Arien Mozarts herausgebracht.
Wenn man aus dem Salzburger Land kommt, wird man von Geburt an mit Mozarts Musik konfrontiert und wächst mit ihr auf. Ich hatte das große Glück, dass mir meine Eltern recht früh den Besuch von Konzerten und Opern ermöglicht haben. Die Hochzeit des Figaro ist einer der Gründe, warum ich meinen Weg überhaupt eingeschlagen habe. Es war die erste Oper, die ich ganz bewusst wahrgenommen habe und sie hat mich so berührt. Auch stimmlich komme ich immer wieder zu Mozart zurück. Weil er alle Möglichkeiten einer Stimme ausschöpft und mögliche gesangstechnische Probleme sofort hörbar werden. Das macht Mozart für Sänger zu einem so interessanten Spielfeld. Man kann nichts kaschieren und nicht schwindeln. Mozart signalisiert einem sofort, ob die Stimme gesund ist.

Beim Konzert mit den Bad Reichenhaller Philharmonikern singen Sie Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Welchen Bezug haben Sie zu dem Stück?
Es war das erste Werk, dass ich anlässlich eines Wettbewerbs im Radio vor einem großen Publikum gesungen habe. Seitdem begleitet es mich. Es ist mit mir mitgewachsen und das allein finde ich sehr reizvoll. Außerdem gehört es für einen Bariton zu den spannendsten Stücken, die man im orchestersolistischen Bereich singen kann.

Auf was darf sich das Publikum freuen?
Das Publikum erwartet ein sehr kompakter Liedzyklus mit einer unglaublich berührenden Geschichte. Ich habe es noch nie erlebt, dass am Ende nach dem Trauermarsch nicht eine tief berührte Stille herrschen würde. Mahlers Liederzyklus ist hochemotional, er beinhaltet alles, was das Herz begehrt: Von feinen Tönen, über unheimliche bis hin zur Versöhnung und Hoffnung.

Was ist ihr unvergessener musikalischer Moment?
Immer wenn ich auf der Bühne mit einem Werk verschmelze und spontane Gefühle entstehen, sind das besondere Momente. Das fasziniert mich am Musizieren, dass wir Emotionen und Gefühle in Töne verwandeln dürfen. Und dass wir dadurch wiederum neue Emotionen erzeugen.

 

Rafael Fingerlos

Er komponierte Volksmusikstücke für die Familienmusik und sang im Chor und in einer Rockband. Weil Bariton Rafael Fingerlos dafür seine Stimme entwickeln wollte, nahm er Gesangsunterricht. Die erste Lehrerin entdeckte sein Talent und schickte ihn zu einem Wettbewerb. Das war der Startschuss eines spannenden Werdegangs. Er studierte Gesang in Wien, war Teilnehmer des Young Singers Project der Salzburger Festspiele und wurde Ensemblemitglied an der Wiener Staatsoper. Rafael Fingerlos ist Preisträger nationaler und internationaler Wettbewerbe. „Mozart made in Salzburg“ ist seine fünfte Solo-CD. Mozart ist – neben Schubert – dafür verantwortlich, dass Rafael Fingerlos den Karriereweg als Sänger überhaupt eingeschlagen hat.

Beim 1. Abokonzert am 17. Februar 2023 singt Rafael Fingerlos die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler.

Dieser Artikel und viele weitere erschienen in der letzten Ausgabe unseres Orchestermagazins.

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