AUF ALT GEBACKEN

STRADIVARIS SIND DIE WERTVOLLSTEN SAITENINSTRUMENTE, DIE ES GIBT. FAST 16 MILLIONEN EURO SOLL DIE GEIGE LADY BLUNT – GEBAUT IM JAHR 1721 – AUF EINER AKTION ERZIELT UND DAMIT ALLE WERTVORSTELLUNGEN DURCHBROCHEN HABEN. ES STELLT SICH DIE FRAGE: WAS MACHT DEN KLANG EINER GEIGE ÜBERHAUPT AUS UND WARUM IST ER EIN SOLCHES MYSTERIUM? EIN BESUCH IN LAUFEN, BEI GEIGENBAUMEISTER UND BOGENMACHER HAGEN SCHIFFLER-LUSTIG.

Antonio Stradivari widmete sein ganzes Leben der Suche nach dem perfekten Klang. Seine Geigen gelten bis heute als die besten der Welt. Ihr Ton ist besonders rein und von einzigartiger Klarheit. Stradivari soll etwa 1100 Violinen, Bratschen, Celli, einige Gitarren und eine Harfe gebaut haben. Circa 650 davon sind erhalten. Die Werkstatt von Hagen Schiffler-Lustig liegt mitten in Laufens Altstadt. Hier hängen Geigen und Gamben von der Decke, es riecht nach Holz und Geschichte. Am langen Werktisch arbeiten ruhig und konzentriert Gesellin und Gesell. Alles, was hier entsteht, ist geprägt von Geduld und Hingabe. Reine Handarbeit, so wie seit Hunderten von Jahren. Vielleicht so wie bei Antonio Stradivari. Ihm eifern Geigenbauer seit jeher nach. Forscher versuchen sogar mittels Computertomographen seinem Klangphänomen auf die Spur zu kommen. Aber so ganz wollen sich die Geigen ihr Geheimnis nicht entreißen lassen. Liegt es an ihren vergrößerten Mittelkörpern, der den Grad der Wölbung von Decke und Boden perfekt macht? An der Zusammensetzung des Lacks? An den Schalllöchern? Oder vor allem an der Qualität des Holzes? Ein wissenschaftlicher Tanz mit den Klanggeistern der Vergangenheit.

Holz ist ein lebendiger Werkstoff. Der muss mit der Statik und Kraft einer Geige zurechtkommen…

MANGELWARE FICHTENHOLZ

„Holz ist ein lebendiger Werkstoff. Der muss mit der Statik und Kraft einer Geige zurechtkommen und damit, dass der massive Saitenzug auf dem Instrument lastet. Holz kann man verletzen – es kann sich verbiegen, der Boden beult sich ein oder die Decke. So ist Holz einfach. Auch wenn man eine Geige bis auf das letzte Hundertstel vermessen kann, das Holz, aus dem Stradivaris erschaffen wurden, ist mittlerweile mehr als 300 Jahre alt“, sagt Geigenbaumeister Hagen Schiffler-Lustig. Was moderne Untersuchungen zeigen: Antonio Stradivari baute seine Geigen aus Holz, das sehr viel dichter und gleichmäßiger gewachsen ist als heutiges Holz. Diese Dichte wirkt sich auf die Vibration des Holzes und somit auf den Klang aus – und auf die Seele des Instrumentes. „Für Geigendecken braucht man langsam gewachsenes, alpines Fichtenholz mit engen Jahreskreisen. Das ist heute nur sehr schwer zu bekommen. Fichten sterben zunehmend aus, ihnen ist das Klima zu heiß und zu trocken geworden. Ich decke mich bereits so gut es geht für die nächsten Jahre mit Fichtenholz ein“, bestätigt Hagen Schiffler-Lustig. Seit über dreißig Jahren baut er Streichinstrumente. Sein Handwerk hat er an der Violinmaking School Newark on Trent in Mittelengland gelernt. Seine Gesellenprüfung legte er in Mittenwald ab, die Meisterprüfung mit dem Bau einer Bratsche in Innsbruck. Hagen Schiffler-Lustig war beim Geigenbauer der Wiener Philharmoniker angestellt und für die Wartung der Dienstinstrumente zuständig. Auch namhafte Instrumente alter Meister wie Stadlmann, Leidolff, Thier und Geissenhof liefen durch seine Hände.

Es klingen nicht alle Stradivaris gut, trotzdem kosten sie Millionen Euro. Letztlich ist wahrscheinlich auch viel Mythos dabei.

MEISTER ODER MYTHOS?

„Es gibt Geigenbauer, die bewusst auf Alt bauen – was auch eine Kunst ist. Da wird das Holz so gebeizt, dass es alt aussieht und so klingt. Einige legen es sogar in den Backofen, damit es die entsprechende Färbung und die Struktur bekommt“, erzählt Hagen Schiffler-Lustig. Er findet: Viel wichtiger als jemandem nachzueifern sei es, der Kundschaft gerecht zu werden, deren Wünsche und Bedürfnisse zu begreifen, zu erfüllen und dabei einen eigenen Stil zu entwickeln. Er arbeitet ausschließlich auf Bestellung. Jedes Instrument schneidet er individuell zu. Neben der Qualität und der Art des Holzes sind bei Geige, Bratsche und Co der Steg, der Stimmstock und die Saiten klanggebend. Während es beim Steg und Stimmstock um die perfekte Position geht und beim Steg zusätzlich um die ideale Form, sind bei den Saiten die Wahl des Kernmaterials sowie die Umwicklung und die Saitenstärke. Auch die Handhabung eines Instrumentes hat Auswirkungen auf dessen Klang. „Von Zeit zu Zeit muss es sozusagen zum Doktor. Ich schaue es mir dann ganz genau an und versuche das Optimum wieder herzustellen“, sagt Hagen Schiffler-Lustig. Seine Kundschaft kommt überwiegend aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – und auch aus den Reihen der Bad Reichenhaller Philharmoniker. „Anfangs war es meine größte Sorge, dass Geigenbau für mich irgendwann in Routine enden könnte und ich mich nicht mehr weiterentwickeln kann. Aber dieser Fall ist seit 30 Jahren nicht eingetreten“. Antonio Stradivari mag als größter Geigenbauer der Geschichte gelten, der Klang seiner Instrumente als einzigartig. Musikfreunde und Sammler sind bereit astronomische Preise für seine Instrumente zu zahlen. Doch ihr Geheimnis konnte bis heute niemand wirklich lüften. Vielleicht gibt es gar keins. „Es klingen nicht alle Stradivaris gut, trotzdem kosten sie Millionen Euro. Letztlich ist wahrscheinlich auch viel Mythos dabei“, vermutet Hagen Schiffler-Lustig. Wem er gerne mal ein Instrument bauen würde? „Jedem der erkennt, was für eine Arbeit darin steckt und schätzt, dass man ihm ein Werkzeug in die Hand gibt, mit dem er sich selbst verwirklichen kann. Und dass er durch das Spiel auf meinem Instrument dem Zuhörer ein Lächeln auf die Lippen zaubert.“

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